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Arbeitskreis für
Spätmittelalterliche 
Wirtschaftsgeschichte

Über uns

Der Arbeitskreis zur spätmittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte baut auf einer langen Tradition auf. Seit dem Beginn wirtschaftshistorischer Forschungen im 18. Jahrhundert brechen die Diskussionen über die jeweiligen Anteile der Wirtschaft und der Geschichte in der Wirtschaftsgeschichte und die Art ihrer Verbindung nicht ab. Als sich die Wirtschaftswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend mathematisierte, tat sich ein besonders deutlicher Bruch zwischen den beiden Disziplinen auf, in denen sich die Wirtschaftsgeschichte verortet. Seitdem befindet sich die Wirtschaftsgeschichte in einer besonderen Zerreißprobe.

Aktuelle Forschungssituation

Aktuell kann man eine Annäherung der beiden Seiten beobachten: Einerseits wird Historikern wieder stärker bewusst, dass die Analyse von Gesellschaft und Kultur auch ein Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge voraussetzt. Andererseits kommen Wirtschaftswissenschaftler wieder darauf zurück, dass gerade Wirtschaftswachstum auch von historischen und kulturellen Faktoren abhängt, die nicht einfach als Restgrößen vernachlässigt werden können.

Spätmittelalterliche Wirtschaftsgeschichte

Besondere Reize bietet die Frage, wie eine Wirtschaftsgeschichte des Spätmittelalters betrieben werden kann, da sich hier große methodische Herausforderungen stellen.

Untersuchungszeitraum

Das Spätmittelalter verstehen wir als die Zeit von ungefähr 1250 bis 1600. Mitte des 13. Jahrhunderts setzte eine tiefgreifende Umwälzung der europäischen Wirtschaft ein. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte sich die atlantische Wirtschaft durchgesetzt, der Dreißigjährige Krieg und das folgende westfälische Staatensystem änderten die Rahmenbedingungen für alle wirtschaftlichen Aktivitäten wiederum fundamental.

Organisations Team

PD Dr. Tanja Skambraks

Tanja Skambraks ist Mittelalterhistorikerin an der Universität Mannheim, wo im März 2021 die venia legendi für das Fach Mittelalterliche Geschichte erwarb. Ihre Habilitationsschrift trägt den Titel: „Karitativer Kredit. Die Monti di Pietà, franziskanische Wirtschaftsethik und städtische Sozialpolitik in Italien“. Die Monografie erscheint Im Frühjahr 2023 in der Reihe der VSWG Beihefte beim Steiner Verlag.

Diese Arbeit leistet einen Beitrag zur Geschichte des vormodernen (Klein-) Kredits und Bankenwesens sowie der Armenfürsorge und zur Entstehung einer dezentral organisierten städtischen Wohlfahrt in der Vormoderne.

Tanja Skambraks behandelt darin die Entstehung und Genese der Monti di Pietà („Berge der Barmherzigkeit“) von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis ins späte 16. Jahrhundert in Italien, mit Ausblicken nach Deutschland bis ins 17. Jahrhundert. Diese Pfandleihhäuser vergaben Kleinkredite gegen Pfand und einen geringen Zinssatz an die arbeitenden Armen (Handwerker, Tagelöhner, Witwen, etc.). Neben diesen Notkrediten, wie sie auch heute noch in Krisenzeiten gefragt sind, fungierten die Monti auch als Bankinstitute, indem sie Girogeschäfte und Depositeneinlagen anboten. Dieses innovative sozialpolitische Projekt wurde insbesondere von Franziskanern als Wohltätigkeitsorganisation ohne Gewinnstreben propagiert, von städtischen Oligarchen installiert und von städtischen Beamten geführt.

2014 wurde sie an der Universität Mannheim mit einer Arbeit über das Kinderbischofsfest im Mittelalter promoviert. Die Arbeit wurde 2014 mit dem Universitätspreis für Sprache und Wissenschaft ausgezeichnet. Mehrere Forschungsaufenthalte führten sie nach London, Rom, Perugia und Boston. 2009 bis 2011 war sie Stipendiatin der Gerda Henkel Stiftung. Das Studium der Mittelalterlichen Geschichte, Anglistik und Kommunikationswissenschaft absolvierte sie von 1999 bis 2006 an der TU Dresden und der University of Edinburgh.

Ihre Forschungsinteressen liegen bei den Themenbereichen Kredit und Marktteilhabe, Schulden, Wirtschaftsethik, soziale Arbeit sowie materielle Kultur und Ritualforschung.

Aktuelle Forschungsprojekte:

Wissen – Wirtschaft – Verwaltung. Kerbhölzer im europäischen Mittelalter

Das Projekt verbindet die materielle Kultur mit der Frage nach Techniken der Wissensspeicherung und Verwaltung in europäischer Perspektive zwischen 500 und ca. 1800. Die Hauptquellengrundlage sind Kerbhölzer aus dem „europäischen Norden“ (Großbritannien, deutschsprachiger Raum, Skandinavien, Russland). Inhaltlich knüpft das Projekt an ältere Arbeiten zur Rechts- und Verwaltungsgeschichte sowie die Wissensgeschichte an. Als eine zentrale methodische Säule möchte ich den Ansatz der „material cultural studies“ für die Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte fruchtbar machen. Der Gebrauch von Kerbhölzern war ubiquitär in der gutsherrlichen Landwirtschaft, der Verwaltung von Gemeinschaftsgütern und -rechten, in den Aufzeichnungspraktiken in Klöstern und von Hansekaufleuten, in Privathaushalten sowie am englischen königlichen Schatzamt zum Zwecke der Steuerabrechnung.

Schuldenbruderschaften im frühneuzeitlichen Rom

Wie gingen vormoderne Gesellschaften mit überschuldeten Personen um? Diese Frage beantwortet das Projekt anhand der Geschichte zweier karitativer städtischer Institutionen der Armen- und Schuldnerfürsorge in Rom. Die Arciconfraternita della carità und die Compagnia dei carcerati wurden beide im frühen 16. Jahrhundert gegründet mit dem Ziel, inhaftierten Schuldnern zu helfen, indem sie Stundungen erwirkten, die Schulden teilweise spendenfinanziert beglichen und den Entlassenen ein kleines Startkapital zur Verfügung stellten. Ihr Wirken läßt sich mit der Arbeit heutiger Sozialarbeiter vergleichen.

Städtische Leihhäuser im deutschsprachigen Raum (Nürnberg und Augsburg 15. bis 17. Jahrhundert)

Dieses Projekt knüpft an das Forschungsthema „Kleinkredit“ sowie an vereinzelte Arbeiten zu städtischen Leihhäusern im deutschsprachigen Raum an und untersucht seine Ausprägungen am Beispiel der Leihhäuser der Städte Nürnberg und Augsburg. Beide Pfandleihanstalten wurden nach dem Vorbild der italienischen Monti di Pietà 1618 bzw. 1603 gegründet. Ihre bisher weitestgehend unerforschte Geschichte ist eng verknüpft mit jener der italienischen Leihhäuser. Das Projekt leistet damit zum einen Grundlagenarbeit zu den bisher wenig beachteten Interaktionen städtischer Sozialpolitik zwischen europäischen Städten, die auch in der Rezeption dieser Impulse in der zeitgenössischen Kameralistik und Wirtschaftsethik deutlich wird. Die Ausbildung einer politischen Ökonomie unter staatlicher Führung in der Frühen Neuzeit ist damit angesprochen.

Moralische Ökonomie. Wirtschaftsethik interdisziplinär gedacht

Dieses Forschungsprojekt schließt an das Forschungsfeld der Wirtschaftsgeschichte aus einer ideengeschichtlichen und wirtschaftsethischen Perspektive an. Es verfolgt zudem eine thematische und interdisziplinäre Öffnung. Die Anbindung der mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte an gesellschaftspolitische Diskurse der Gegenwart ist ein zentrales Movens des Vorhabens. Bereits in meiner Forschungsarbeit zu franziskanischer Wirtschaftsethik und städtischer Sozialpolitik bildete das Konzept „moralische Ökonomie“ ein wichtiges heuristisches Instrument. Daran schließt sich die generelle Frage an, wie wirtschaftsethische und überhaupt ethische Normen und Werte ökonomisches Handeln in menschlichen Gesellschaften in der Langzeitperspektive steuern und beeinflussen. Ein Ausgangspunkt für diese Untersuchung ist das von E.P. Thompson 1971 geschöpfte Konzept der moralischen Ökonomie sowie dessen Fruchtbarmachung und Erweiterung durch empirische Forschung einerseits und durch interdisziplinäre Bezüge andererseits. Dass moralische Leitbilder, Wertvorstellungen oder religiöse Werte in der longue durée zu betrachten ein vielversprechendes Unterfangen ist, kann durch einen bereits bei Palgrave zur Publikation angenommenen epochenübergreifenden Sammelband (Skambraks/Lutz 2022) belegt werden.

PD Dr. Julia Bruch

Julia Bruch ist seit 2020 Postdoc im DFG-Graduiertenkolleg 2212 „Dynamiken der Konventionalität (400–1550)“ an der Universität zu Köln. Sie hat sich mit der Schrift Sammeln und auswählen, ordnen und deuten. Geschichte(n) schreibende Handwerker und ihre Chroniken im 15. und 16. Jahrhundert  2021/2022 an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln habilitiert. Derzeit arbeitet sie an einem Projekt über technische Manuskripte und die Vermittlung von Wissen. Im Wintersemester 2023/24 ist Julia Bruch Guest Professor " Women in Manuscript Cultures" am Centre for the Studies of Manuscript Cultures and Cluster of Excellence “Understanding Written Artefacts” und im Wintersemester 2022/23 hat sie die Professur für Geschichte des Mittelalters/Schwerpunkt Spätmittelalter (Prof. Dr. Sabine von Heusinger) in Köln vertreten. Julia Bruch betreut zwei Promotionen, die im Rahmen des GRK 2212 entstehen: Nils Foeges Arbeit zu Kölner Klosterbibliotheken im spätmittelalterlichen Medienwandel und Simone Hallsteins Projekt zu Judenfeindlichkeit und Medienwandel im Spätmittelalter.

Von 2011 bis 2020 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Geschichte des Mittelalters/Schwerpunkt Spätmittelalter bei Prof. Dr. Sabine von Heusinger (mit Unterbrechung aufgrund von Mutterschutz und Elternzeit). 2009 bis 2011 war sie Stipendiatin der Gerda Henkel-Stiftung, 2008 und 2010 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Universität Mannheim bei Prof. Dr. Annette Kehnel. Hier wurde sie auch 2012 mit einer Arbeit über die Zisterze Kaisheim und ihre Tochterklöster promoviert. Mit der Posterpräsentation zu dieser Arbeit gewann Julia Bruch 2010 das Doktorandenforum des Deutschen Historikertags in Berlin.

Das Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Alten Geschichte und Germanistik absolvierte sie von 2002 bis 2008 an der Universität Mannheim.

Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Städtische Historiographie des 15. und 16. Jahrhunderts, vormoderne Wirtschaftsgeschichte und Klöster- und Ordensgeschichte des 13. und 14. Jahrhunderts.

Aktuelle Forschungsprojekte:

Zwischen Skizzenbüchern und technischen Enzyklopädien. Schreibende Handwerker (12.–17. Jahrhundert)

Um ein Handwerk erfolgreich zu beherrschen, waren auch im Mittelalter nicht nur Talent und entsprechende Fähigkeiten erforderlich, sondern auch eine solide Ausbildung. Das für die Ausübung des Handwerks erforderliche Wissen wurde in der Regel in den Werkstätten vermittelt. Lehrlinge lernten von Meistern und Gesellen, die das Handwerk bereits beherrschten, indem sie die erfahrenen Handwerker imitierten und von diesen zugleich korrigiert wurden. Das auf diese Weise vermittelte Wissen ist meist verkörpertes und manchmal implizites Wissen, das nur schwer oder gar nicht aufgeschrieben werden kann. Handwerker tauschten zudem ihr Wissen auf Reisen oder durch freiwillige und erzwungene (Arbeits-) Migration aus. Auch Innovation fand demnach im direkten mündlichen Austausch statt und wurde in den Werkstätten weitergegeben.

Dieses System der Wissensvermittlung benötigt keine Schrift, obwohl Handwerker die Schrift sowohl in der Werkstatt, zum Beispiel für die Buchführung, als auch in der Verwaltung der Zünfte und im Stadtrat verwendeten. Die Weitergabe von Wissen blieb jedoch grundsätzlich mündlich, so eine gängige Erzählung. Diesem Narrativ stehen allerdings unzählige, seit dem 12. Jahrhundert überlieferte Handschriften gegenüber, die technisches Wissen über Handwerke in Text und Bild vermittelten. In diesem Projekt untersuche ich diese von Handwerkern geschriebenen und gezeichneten technischen Handbücher (Skizzenbücher, Büchsenmeisterbücher, etc.) und frage nach den kulturellen und sozialen Voraussetzungen für die schriftliche Vermittlung von Wissen innerhalb einer bisher vor allem mit Mündlichkeit assoziierten sozialen Gruppe. Aspekte von Innovation, (Arbeits-)Migration und transkulturellem Austausch von Wissen werden dabei eine zentrale Rolle spielen.

Es wird gezeigt werden, dass diese technischen Handbücher für die Weitergabe von Wissen zwischen Handwerksmeistern eine besondere Rolle spielten. Vermittelt wurden dort aktuelle Moden und Innovationen, das Mögliche und Denkbare, doch das Knowhow, wie die Produkte herzustellen waren, vermittelten diese Schriften nicht. Die Vermittlung dieses Wissens verblieb in der Werkstatt. Ohne eine solide Ausbildung und Erfahrung im Handwerk waren die Manuskripte in der Praxis nicht zu verwenden. Allerdings kam den Handschriften eine weitere Funktion zu: Sie waren für den Verkauf der dort beschriebenen und abgebildeten Produkte von entscheidender Bedeutung. Ein potentieller Auftraggeber konnte mit ihnen auf die handwerklichen Erzeugnisse aufmerksam gemacht werden. Es handelt sich hierbei nicht um Auslageware, die erst angefertigt und dann verkauft wurde, sondern um kostbare, teure und rohstoffintensive Produkte. Das Projekt wird wichtige Beiträge zur Handwerksgeschichte, zur Wissensgeschichte sowie zur Geschichte der Vermarktung von Produkten liefern.

Vorarbeiten:

Publikationen:

Transmission of Useful Knowledge in Texts Written by Craftsmen. Two Case Studies from the Holy Roman Empire, in: Giampiero Nigro (Hg.): L’economia della conoscenza. Innovazione, produttività e crescita economica, secc. XIII-XVIII/The Knowledge Economy. Innovation, Productivity and Economic Growth, 13th to 18th Century” (Datini Studies in Economic History 3), Firenze 2023, S. 259–283.

Vorträge:

05/2023           „Production and Trade of High-Quality Goods”, auf der Tagung “Jews, Christians, and Crafts”, veranstaltet von Prof. Dr. Sabine von Heusinger (Köln) und Dr. Andreas Lehnertz (Trier)

06/2022           „Rüstungen, Schießpulver und Belagerungstürme. Flaschenzüge, Wassermühlen und Schleifmaschinen. Weitergabe von Wissen in von Handwerkern geschriebenen Texten“, auf Einladung von Prof. Dr. Sabine Schmolinsky (Erfurt)

05/2022           „Armor, Gunpowder and Siege Turrets. Pulleys, Watermills and Grinders. Transmission of Knowledge and Innovation in Texts Written by Craftsmen in the 15th and 16th Centuries“, Datini Conference 2022: LIII Study Week – The knowledge economy. Innovation, productivity and economic growth, 13th to 18th century, in Prato

Writing Women. Was There a Specific Type of Female Manuscript Culture?

In my habilitation thesis, I examined urban chronicles written by craftsmen from 15th- and 16th-century Europe using a cultural-historical approach that involves detailed analysis of the manuscripts. While researching these chronicles and analyzing their manuscripts, I also explored the interrelations of writing and gender. One of the questions at the center of my thesis was whether manuscripts written by craftsmen differed from manuscripts written by merchants, patricians, scholars, monks, etc. The results emerging from my research show that the social group which the scribe came from was an important factor, but only one factor that influenced the form of the manuscripts. In addition to the scribe’s social group, there were other decisive aspects that were partly related to social context, such as vernacular and Latin education, access to writing and books, bookkeeping routines, causa scribendi, and intended readership.

In this context, I have already considered women scribes and their design of manuscripts as well as their position in the respective manuscript culture. For reasons of time economy, however, this question had to be removed from the habilitation thesis. Hence, I would like to continue to survey manuscripts written by women and explore how they differ from manuscripts written by men: Was there a specifically female manuscript culture?

I have worked on a female brewer and analyzed her chronicle according to historical and literary-historical methods. My findings indicate that women’s urban chronicles are structured differently than those written by men both on the textual and on the content level. The most striking difference is that the female writer does not commemorate the patrilineal family, but shifts the matrilineal family into the foreground. The next research step would be to find out whether these differences in content and text also become visible on the level of the manuscripts (layout, binding, material, ink etc.). Using a larger sample consisting of manuscripts written by women from different social contexts in medieval cities (artisans, merchants, patricians, nuns), I will explore whether women designed their manuscripts differently and whether there was a female manuscript culture or whether women and men shared a manuscript culture within their social group. In addition, the results of my previous research on (male) manuscript cultures can be applied as a comparative framework. Therefore, I not only use chronicles as an expression of female manuscript cultures, but expand my field of research to other text genres in order to exclude misinterpreting rather genre-inherent techniques as typically female. The question that follows is whether the insights gained this way might help us to better identify the scribes of anonymous manuscripts, which are almost reflexively assigned to men, as male or female.

I will work on this project as visiting scholar for “Women in Manuscript Cultures” at the Centre for the Studies of Manuscript Cultures and Cluster of Excellence „Understanding Written Artefacts” in Hamburg.

Publikationen:

Die Darstellung genealogischen Wissens in von Handwerker:innen geschriebenen Chroniken des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Cusa, Giuseppe und Thomas Dorfner (Hgg.): Genealogisches Wissen in Mittelalter und Früher Neuzeit Konstruktion – Darstellung – Rezeption 2023 (Cultures and Practices of Knowledge in History 16), S. 61–86.

Vorträge:

12/2023           „Writing women. Gender and Class in 16th-Century German-Language Songs, Chronicles and Convents Books”, auf Einladung des Cluster of Excellence “Understanding Written Artefacts” (Hamburg)

Verfälscht – Verheimlicht – Unterdrückt. Von der Kunst des Navigierens im Nachrichtenstrom

Zurzeit baue ich gemeinsam mit Jessika Nowak (Wuppertal) ein internationales Netzwerk von Forscher:innen auf, die untersuchen, wie in unterschiedlichen europäischen und außereuropäischen Kontexten mittels der Streuung, Lenkung und Unterdrückung von Nachrichten Deutungskämpfe in der Vormoderne (6.–17. Jahrhundert) ausgefochten wurden. Wir bereiten derzeit dazu einen Sammelband für die Reihe „Mittelalter. Interdiszplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, Beihefte“ vor, der im Jahr 2024 veröffentlich werden soll.

Fake News sind seit Donald Trump zum geflügelten Wort geworden, und in unserem digitalen Zeitalter wird ihnen mehr und mehr Aufmerksamkeit zuteil. Unbestritten offenbart nicht erst, aber besonders eindrücklich die pandemische Krise den schwierigen Umgang mit Fake News, Gerüchten und Halbwahrheiten, die, digital global verbreitet, ein einheitliches Konzept von Wahrheit infrage stellen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich in der westlichen Diskussion darüber, wie viele verschiedene „Wahrheiten“ nebeneinander existieren können und welche Kriterien sich für die Einordnung in die Kategorien „wahr“, „gerecht“ und „legitim“ in Erwägung ziehen lassen, derzeit ein neues Tableau gebildet zu haben scheint.

Dahinter steht die Frage, wie die soziale Gemeinschaft bestimmte Nachrichten verbreiten, wahrnehmen, deuten und erinnern soll, und es ist zu eruieren, wie die Verbreitung von Nachrichten in der Vormoderne in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Kontexten beeinflusst wurde. Es sollen die Verbreitungsmechanismen von Nachrichten und besonders die Techniken beleuchtet werden, die angewandt wurden, um Nachrichten, die als schädlich oder gefährlich empfundene Informationen und konkurrierende Ansichten enthielten, zu unterdrücken. Eine Technik, entgegenlaufende Interpretationen zu unterbinden, ist neben der Lenkung von Nachrichten- und Informationsströmen, die Zensur, die dazu dient, Informationsströme zu unterbrechen. Im Fahrwasser der Zensur befindet sich stets die Selbst-Zensur, indem bestimmte Informationen nicht weitergegeben werden, um möglichen Repressalien zu entgehen. Eine weitere, verwandte Methode, Nachrichten in geeignete Bahnen zu lenken und zugleich konkurrierende Deutungen zu unterbinden, ist auch hier die Verbreitung von der eigenen Ansicht entsprechenden, aber im Grunde falschen Informationen – modern gesprochen: die besagten Fake News.

Die aufgeworfenen Fragen, wie in der Vormoderne mittels der Streuung, Lenkung und Unterdrückung von Nachrichten und Informationen Deutungskämpfe ausgefochten wurden, ist anschlussfähig für eine ganze Reihe aktueller Forschungsanliegen der Medien- und Kommunikationsgeschichte, der Politik- und der Sozialgeschichte, aber auch der Stadt-, Rechts- und Kirchengeschichte.

Vorarbeiten:

Publikationen:

Die Stimme aus dem Off. Oppositionelle Handwerker beschreiben ihre Stadt, in: Klaus Kipf und Jörg Schwarz (Hgg.): Stadtgeschichten. Stadt und Kultur in Mittelalter und Früher Neuzeit (600–1600) (Das Mittelalter. Beihefte) [im Druck].

Tagungen:

2022-2023
6 Zoom-Workshops zum Thema „Fake News, Geheimhaltung und (Selbst-) Zensur als Mittel gezielter Nachrichtenlenkung in der Vormoderne“, gemeinsam mit Jessika Nowak (Wuppertal)

Tagungen

25. März 2022 Tagungsprogramm

22. April 2022 Tagungsprogramm

10. Juni 2022 Tagungsprogramm

15. Juli 2022 Tagungsprogramm

2. Dezember 2022 Tagungsprogramm

02. Juni 2023 Tagungsprogramm

Die Koelhoffsche Chronik (Cronica van der hilliger Stat van Coellen) als digitales Lehr-Lern-Projekt

Aktuell verfolge ich mit mehreren Kolleg:innen an unterschiedlichen Universitäten ein gemeinsames digitales Lehr-Lern-Projekt, das zum Ziel hat die sogenannte „Koelhoffsche Chronik“ (Cronica van der hilliger Stat van Coellen) kollaborativ zu edieren. Das Projekt sieht momentan eine Kooperation mit Mediävist:innnen (Prof. Dr. Carla Meyer-Schlenkrich, WWU Münster, Historisches Seminar, Abteilung für Westfälische Landesgeschichte und Paul Schweitzer-Martin, LMU München, Historisches Seminar), Bibliothekaren (Dr. Henning Dreyling und Jürgen Lenzing, ULB Münster, Abt. Historische Bestände und Digitalisierung) und einem Dienstleister für wissenschaftliche Datenerfassung, Datenverarbeitung und Präsentation (Christoph Forster, datalino Berlin) vor.

Die Chronik ist über 700 Seiten stark und in der Kölner Offizin Johann Koelhoffs des Jüngeren zwischen Januar und August 1499 gesetzt, gedruckt und zugleich aufwändig bebildert worden. Heute sind noch über 200 Exemplare dieses Drucks erhalten. Die erhaltenen Exemplare sind in aller Welt zerstreut und werden in 23 Ländern aufbewahrt. Auch wenn der Verbreitungsradius der Chronik in ihrer Entstehungszeit kleiner war, deuten doch die Besitzeinträge und erhaltenen Abschriften auf eine interessante Streuung des Drucks hin. Die 1499 gedruckte Chronik gilt als die älteste gedruckte Stadtchronik überhaupt und ist trotz ihrer Bedeutung für Medien-, Historiographie- und Stadtgeschichte nur kursorisch in der Forschung behandelt worden; eine moderne Edition fehlt. Die ältere, von Hermann Cardauns im Rahmen der Reihe „Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. Bis ins 16. Jahrhundert“ vorgelegte Edition aus den Jahren 1867 und 1877 ist vollkommen ungenügend.

Hier setzt das Lehr-Lern-Projekt an. Ziel ist es, über mehrere Semester und an mehreren Universitätsstandorten die umfangreiche Koelhoffsche Chronik digital zu erschließen. Zusammen mit Studierenden soll der Text der Chronik mithilfe des digitalen Tools ‚Transkribus‘ transkribiert werden. Die Transkriptionen werden auf einer eigens konzipierten Website digital publiziert sowie Namen, Daten und Orte identifiziert, getaggt und kommentiert. Die Ergebnisse der Lehrveranstaltung werden durch das niederschwellige, digitale Angebot nicht nur der Forschungsgemeinschaft, sondern auch der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und somit in die heutige Stadtgemeinde und darüber hinaus kommuniziert.

Vorarbeiten:

Publikationen:

Mit Studierenden edieren. Digitale Editionen als Chance für die Lehre, Beitrag für das Blog „DigiTRiP. Digital Teaching and Research in Practice: https://digitrip.hypotheses.org/1278.

Lehrveranstaltungen:

SS 2022          Hauptseminar: „Wie geht edieren? Transkriptionsübung zur Koelhoffschen Chronik (gedruckt 1499)“, gemeinsam mit Prof. Dr. Carla Meyer-Schlenkrich (Münster) und Dr. Paul Schweitzer-Martin (München)

Kölner Urkunden edieren

Im Sommersemester 2014 habe ich ein Modellseminar „Kölner Urkunden edieren“ entwickelt, das an der Universität zu Köln von Dr. Joachim Oepen (Archiv des Erzbistums Köln) und mir unterrichtet wird. Dabei handelt es sich um ein auf dem Prinzip des Forschenden Lernens basierendes Lehr-Lern-Projekt, das Studierenden ermöglicht, digitale Urkundeneditionen zu erstellen und zu publizieren. Als Plattform wird dafür monasterium.net genutzt, wo bereits von Kölner Studierenden in unseren Übungen erarbeitete Urkundeneditionen veröffentlicht worden sind. Darüber hinaus habe ich gemeinsam mit Dr. Ursula Gießmann (Zentrum für Hochschuldidaktik, Universität zu Köln) in einer Monographie zu den hochschuldidaktischen Themen ‚Forschendes Lernen‘ und ‚digitale Lehre‘ publiziert.

Veröffentlichungen:

gemeinsam mit Joachim Oepen und Studierenden der Universität zu Köln:
25 Urkunden auf monasterium.net kollaboratives Archiv: Stift St. Maria im Kapitol [22 bereits Online; 05.10.2020].

in Zusammenarbeit mit Ursula Gießmann:
„Digitale Lehre in den historischen Geisteswissenschaften – hochschuldidaktisch betrachtet“, in: Hochschule digital.innovativ | #digiPH Tagungsband zur 1. Online-Tagung, hg. v. Marlene Miglbauer, Lene Kieberl und Stefan Schmid, Graz 2018, S. 133–141.

in Zusammenarbeit mit Ursula Gießmann:
Digitale Lehre in der Geschichtswissenschaft (Kleine Reihe Hochschuldidaktik), Wochenschau Verlag: Schwalbach/ Ts. 2017.

Prof. Dr. Ulla Kypta

Aktuell arbeite ich als Juniorprofessorin für die Geschichte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit an der Universität Hamburg. Der Schwerpunkt meiner Forschungen liegt in der vormodernen Wirtschaftsgeschichte, die ich als eine spezifische Perspektive auf gesellschaftliches Zusammenleben verstehe. Vor kurzem habe ich meine Habilitation abgeschlossen, die sich mit der Frage beschäftigt, wie Kaufleute im Antwerpen des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts miteinander kooperierten, insbesondere wie sie Vertretungsbeziehungen organisierten. Außerdem forsche ich zur Geschichte der hansischen Kooperation in der so genannten Spätzeit des 16. und 17. Jahrhunderts. Dabei interessiert mich insbesondere, mit welchen juristischen und politischen Modellen die multidimensionale Governance-Struktur hansischer Kooperation beschrieben und erklärt werden kann. Bevor ich nach Hamburg kam, habe ich in Frankfurt/Main eine Doktorarbeit zur Entstehung des englischen Schatzamts im 12. Jahrhundert geschrieben und anschließend in Basel meine wirtschaftshistorischen Forschungen begonnen.

Aktuelle Forschungsprojekte:

Kooperativer Individualismus: Wie ließen sich Kaufleute im spätmittelalterlichen Antwerpen vertreten?

Antwerpen zählte um 1500 zu den wichtigsten Umschlagplätzen des europäischen Handels. Kaufleute aus verschiedenen Regionen des Kontinents kamen in die Stadt an der Schelde oder schickten Vertreter dorthin. Meine Studie untersucht, wie Vertretungsbeziehungen unter deutschen Kaufleuten ausgestaltet wurden und wie sie funktionieren konnten in einer Stadt, in der ganz verschiedene Kaufleutegruppen miteinander in Austausch traten, deren Mitglieder sich nicht alle kennen konnten und die von keiner Zentralinstanz reguliert wurden. Die Analyse des städtischen Schriftguts in Antwerpen hat ergeben, dass Kaufleute in drei verschiedenen Formen von Vertretung zusammenarbeiteten, nämlich Gesellschafter, Diener und Bevollmächtigte. Kaufleute aus verschiedenen Regionen gestalteten diese Formen ganz ähnlich aus. Ein besonderes Augenmerk der Studie liegt auf den Bevollmächtigten, und zwar aus zwei Gründen: Erstens legten Vollmachten den Grund für besonders flexible und vielfältige Beziehungen. Zweitens sahen Vollmachten aus ganz unterschiedlichen Städten ähnlich aus, ohne dass eine Zentralinstanz sie reguliert hätte. Sie ermöglichten Kooperation über enge Gruppengrenzen hinweg. Insgesamt wurden die unterschiedlichen Kontore und nationes der Kaufleute in Antwerpen überwölbt von einer größeren Gruppe aller Kaufleute, die eigene Regeln entwickelte und brückenbildendes Sozialkapital bereitstellte. So wurde der Austausch zwischen verschiedenen Kaufleutegruppen ermöglicht.

Kaufleute arbeiteten in dieser Gruppe nicht (nur) zusammen, weil es ihnen unmittelbar nutzte, sondern (auch) weil sie ein langfristiges Interesse daran hatten, dass Kooperation möglich war, weil nur so der Handel funktionieren und damit auch ihre eigenen Geschäfte laufen konnten. Sie agierten weder als Kollektivisten noch als Egoisten, sondern als kooperative Individualisten: Sie hielten sich an Regeln, weil ihr Handel darauf angewiesen war, dass es solche Regeln gab. Kooperation spielte so eine fundamentale Rolle dafür, dass der Handel und damit die Geschäfte jedes Kaufmanns aufrechterhalten wurden, dass sie geradezu für selbstverständlich gehalten wurde. Kooperation erscheint als soziale Notwendigkeit.

Die Hanse in der Frühen Neuzeit

Der letzte Hansetag fand erst im Jahr 1669 statt. Kaufleute aus Hansestädten wie Hamburg oder Danzig beteiligten sich rege am frühneuzeitlichen Atlantikhandel. Trotzdem lässt die Historiographie die Geschichte der Hanse häufig mit dem Ende des Mittelalters ausklingen. Aber wie ging es danach weiter mit hansischem Handel und hansischer Politik? Wie veränderten sich Strukturen und Positionen der Hanse, und welche Rolle spielte sie im Europa der Frühen Neuzeit? Im Forschungsprojekt interessieren wir uns vor allem für die Geschichte der Hansetag des 16./17. Jahrhunderts. Ihnen wurde bisher vergleichweise wenig Aufmerksamkeit zuteil, weil die zugehörigen Quellen – im Unterschied zum 13.-15. Jahrhundert – noch nicht ediert wurden. Sie blieben aber in den Archiven Nordeuropas erhalten. Gerade digitale Methoden bieten neue Möglichkeiten der Auswertung dieser Quellen, die interessante Einblicke in die Verfahren liefern, in denen rechtsgleiche Akteure versuchten, Kompromisse zu finden und Beschlüsse zu fassen. Für diese Projekt kooperieren wir mit der Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums in Lübeck.